»Lieber Gutmensch als Arschloch!« – 7 W-Antworten auf dem Weg zur Gesellschaft der Vielen

Type
Text
Published
23.07.2023
Language
German
Level
Beginner
Length
7 Minutes
Categories
Intersectional Alliances, Contemporary Struggles, Community & Union Organizing
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Was? Die Gesellschaft der Vielen! 

Die Idee der Gesellschaft der Vielen erlangte beim NSU-Tribunal 2017 in Köln zum ersten Mal größere Aufmerksamkeit. Das Motto war: Raus aus der Defensive, für eine konstruktive Vision! Und auf dem Weg benennen, bekämpfen und beseitigen wir die Unterdrückungssysteme, die uns das schöne Leben ohne Angst unmöglich machen. 

Beharrlich und unbeirrbar das Ziel anvisieren und den Weg im Alltag erfahrbar machen, um die Abstraktion der Begriffe zu überwinden. Ihr habt den absoluten Fokus auf das Ziel statt den Burnout als Teil der unfreiwilligen Feuerwehr gegen alles Schlechte.

 

Wer? Die Vielen!

Alle, die zur Gesellschaft der Vielen wollen. Kein Volk, keine Masse, einfach die Menschen, die Leute, the people. Die Gesellschaft der Vielen ist schon sichtbar, sie ist real. Sie hat das Gesicht der Vielen: der Marginalisierten, der Diskriminierten, der Kämpfer*innen gegen die Unterdrückung. Es braucht nicht den neuen Menschen, die Standardversion ist schon immer zu den erstaunlichsten Dingen fähig gewesen, wenn sie ihre Kräfte für die gerechte Sache gebündelt hat.

Lasst euch nicht allein, niemand schafft das allein. Gesellschaftlicher Fortschritt war immer das Resultat von sozialen Bewegungen, die überall ihre Forderungen verbreiten konnten. Schafft ein Wir, das ein Ich und ein Du ermöglichen und nicht unterdrücken muss. Ein maximal großes Wir, in dem alle mit ihren Unterschieden und Eigenheiten Platz haben und das Ziel dennoch nicht aus den Augen verlieren.

Song Cover von “Which Side Are You On” von Natalie Merchant

 

Wann? Jetzt! 

Worauf denn noch warten? Learning by doing! Mit Mut voran! Fehler machen ist besser, als aus Angst nichts zu tun. Viel zu viele Leute würden nur zu gern etwas anders haben, aber schaffen es dann aus den unterschiedlichsten Gründen nicht, selbst eine Veränderung anzustoßen. Wir kommen aber nur voran, wenn wir etwas tun, also muss es losgehen.

Ihr baut auf der Arbeit von allen vor Euch auf und schaut am besten auch, was sie gemacht haben. Und Ihr sorgt mit Eurer Arbeit dafür, dass es in der Zukunft auch noch Leute gibt, die die gemeinsame Sache fortführen.

 

Wo? Dort, wo ihr seid!

Ihr kennt euch aus, man kennt Euch und Ihr findet Leute, die mitmachen. Ihr habt die richtige Sprache, nämlich Eure eigene, Ihr habt die richtige Haltung, nämlich die derjenigen, die selbst betroffen sind und an den Missständen und Ungerechtigkeiten etwas ändern wollen. Ihr werdet nicht als Aliens wahrgenommen, sondern als die Menschen, die Ihr seid. Ihr kennt den lokalen Kontext und die Communities, Ihr seid glaubwürdig.

Ihr wartet nicht auf Rettung von außen, sondern legt los. Ihr macht Schritt für Schritt. Ihr kommt weiter. Ihr erlebt, dass sich etwas ändern lässt, Ihr stößt auf Widerstände und lernt dazu. Euer Beispiel macht Schule und inspiriert andere, die vielleicht ganz woanders etwas tun wollen. Greta Thunberg war beeindruckt von der politischen Selbstorganisierung der Schüler*innen in den USA, die sich gegen Schusswaffen einsetzen. Sie trat davon inspiriert in einem ganz anderen Feld eine wortwörtlich globale Bewegung los. Weil wiederum zigtausende junge Leute ihre Idee aufgegriffen und bei sich vor Ort umgesetzt haben. 

 

Warum? Das Leben ist schön!

Es mag angesichts der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, einigen nicht einleuchten, aber das Leben ist schön. Es gibt die Schönheit, die Wahrheit und die Güte. Das Konzept des Lebens, des Wachsens und Gedeihens, des Austauschs und Lernens ist schön. Dass es überhaupt Leben auf diesem Planeten gibt und hier so unfassbar viele Pflanzen, Tiere und Menschen leben, grenzt an ein Wunder. Auch wenn es wahrscheinlich schlicht ein Zufall war. Die menschliche Kultur kann unglaubliche Dinge hervorbringen. Menschen haben wunderschöne Sachen entworfen, herrliche Rezepte, Spiele, Musik, Kunst und noch vieles mehr.

Leider ist der Mensch aber auch zu vielen schlechten Dingen fähig. Wir verkacken es gerade richtig, zerstören mit dem Kapitalismus unsere eigenen Lebensgrundlagen für den Profit einiger Superreicher und sorgen schon sehr lange dafür, dass die prinzipielle Schönheit des Lebens extrem vielen Menschen verwehrt bleibt. Das muss sich ändern und es geht auch. Es wurde schon immer für die Freiheit aller Menschen gekämpft. Vieles ist aber verschütt gegangen, verschleiert oder vergessen worden, daher scheint es zu oft, als wäre alles Schlimme der “natürliche” Weg. Davon nicht beirren lassen, sondern in der Geschichte suchen, im Jetzt auch schon Schönheit erfahren und genießen können und auf die Zukunft hinarbeiten.

 

Wie? Lieber Gutmensch als Arschloch! 

Ja, unerbittliche Analyse auf faktischer Ebene sowie eindeutige Kritik sind die Basis dafür, nicht mit Luftschlössern zu arbeiten, sondern in realen Zuständen verwurzelt zu sein. Aber Humor und Liebe müssen deswegen nicht hinten runterfallen, sondern sorgen dafür, dass uns auf lange Sicht die Luft nicht ausgeht. Immer schön mit der Dialektik schwingen! Wie Daniel Kulla sagt: Macht es euch in der Theorie nicht zu einfach und in der Praxis nicht zu schwer. Geißelt weder euch selbst noch andere für Fehler, sondern sorgt dafür, dass darüber gesprochen und daraus gelernt werden kann. Praxis braucht Theorie und Theorie braucht Praxis! Sowohl-Als-auch statt Entweder-Oder!

Und das alles schön gutmenschlich, also eben nicht versteinern und kaputtgehen, nicht zynisch und besserwisserisch werden, vor allem auch nicht die eigene Mutlosigkeit mit vermeintlich politischer Begründung generalisieren und mehr Energie ziehen als zufügen. Ruht euch lieber aus, wenn Ihr nichts Positives beizutragen habt. Es ist und wird von ganz allein anstrengend genug, daher müssen wir nicht noch oben drauf andere herunterziehen, die vielleicht gerade erst anfangen.

 

Wozu? Damit es besser wird!

Es könnte besser sein. Die Welt ist geworden, wie sie jetzt ist. Und dabei gab es durchaus auch Gewinne. Weder wird alles per se schlechter, noch gibt es ganz generell von allein irgendwelche Fortschritte. Nichts fällt vom Himmel! Das sind alles Resultate von Machtkämpfen zwischen verschiedenen Interessen. Kontingenz heißt, dass es auch alles ganz anders hätte verlaufen können, und es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es das beim nächsten Mal tut. 

Musikvideo “Es könnte besser sein” von form

About the contributor

David Häußer a.k.a. form
Rapper, Producer & Aktivist

David Häußer a.k.a. form (er/ihm) ist deutsch-französischer und schwäbisch-brasilianischer Rapper, Producer und Aktivist, der in Berlin lebt und im Internet und auf der Straße für die Gesellschaft der Vielen und postmännliche Realness kämpft. Es hat Massenkommunikationswissenschaften, Politik- und Filmwissenschaft an der Universität Mainz studiert und hat dort das Netzwerk Refugees Solidarity Mainz initiiert. Es ist Mitgründer des FICKO-Magazins für gute Sachen und gegen schlechte, der Initiative Gesellschaft der Vielen nach der Hetzjagd auf Migrant*innen 2018 in Chemnitz und seit 2023 auch des Forums für HipHop und postmännliche Realness.