»Lustmachen auf Mut und Veränderung« – Interview mit Cesy Leonard (Radikale Töchter)

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Text
Published
14.12.2023
Language
German
Level
Beginner
Length
22 Minutes
Categories
Intersectional Alliances, Arts, Media & Internet Activism, Direct Action & Civil Disobedience
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Cesy Leonard ist Aktionskünsterin und eine wichtige Figur in der Welt der radikalen Kunstaktionen. Ihr Lebensweg versprüht Mut und die Vielfältigkeit der Aktionskunst. Angefangen als Rapperin in der Hip-Hop- und Graffiti-Szene von Stuttgart, war sie lange im Theater aktiv, bevor sie Teil des Zentrums für Politische Schönheit wurde. Das “Zentrum” ist bekannt für waghalsige künstlerische politische Interventionen am Rande der Legalität. Mit der Gründung von Radikale Töchter steht Cesy für eine feministische Aktionskunst, die zum Handeln auffordert und für Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Brüder- und Schwesterlichkeit steht. 

In unserem Gespräch geht es um die Wege in die Aktionskunst und Cesy erklärt, wie Radikale Töchter andere Identitäten und neue Zugänge in die Welt der Kunst und Kreativität schaffen. Mit Blick auf den Rechtsruck und anstehende Landtagswahlen, die auch uns bei der School of Transnational Organizing in unserer Arbeit sehr beschäftigen, sind wir uns einig über die tragende Rolle von Emotionen in der politischen Bildung und der Aktionskunst. Cesys Gedanken zur Ernsthaftigkeit, mit der viele deutsche politische Gruppen agieren, macht mich nachdenklich in Anbetracht der Rolle, die Freude und Spaß in unserer Arbeit haben. Ich frage mich, wie wir es schaffen können, Mut zu verbreiten und einen Resonanzraum zu schaffen, der Communities in ihrem Kampf gegen die Ungerechtigkeit aktiviert, empowert und unterstützt.

Video “Macht kommt von Machen” von Radikale Töchter 2021 (Video: Radikale Töchter) 

 

Jana Ahlers: Hey Cesy, wie bist du dazu gekommen, was du gerade machst? 

Cesy Leonard: Ich heiße Cesy Leonard, komme ursprünglich aus Süddeutschland und bin die Tochter einer aus der DDR geflohenen Mama und eines australischen Papas. Ich bin also damit aufgewachsen, mich nicht ganz zuhause zu fühlen, auch wenn man weiß ist oder weiße Elternteile hat. Anfang der Neunziger Jahre, noch als Kind, mit den Bränden in den Asylbewerberheimen wurde ich politisiert und habe mich gefragt: Wer ist eigentlich willkommen in diesem Land?

Ansonsten wollte ich schon immer künstlerisch arbeiten. Das hat mich einfach schon immer total angezogen. Zuerst die Musik ... Ich habe jahrelang in Stuttgart Hip-Hop-Musik gemacht und Graffitis gemalt, und später war ich im Schauspiel aktiv und habe selbst Filme gedreht. Erst danach bin ich zum Zentrum für Politische Schönheit gekommen und habe dort meine künstlerische Heimat gefunden – an der Schnittstelle zwischen aktivistischen Arbeiten und künstlerischen Aktionen.

Für mich heißt das, Filme zu drehen, Geschichten zu erzählen und vor allem aber die Momente zu inszenieren, in denen andere politisiert werden. Genau diese Leidenschaft, die Inszenierung der Momente, in denen Menschen politisiert werden, hat mich dann zur Gründung von Radikale Töchter bewegt. Mich hat die Frage, wie man Menschen ins Handeln bringt, schon immer interessiert und ich fand den politischen Bildungsbegriff einfach viel zu kurz gedacht. Gerade aus der Sicht der deutsch-deutschen Geschichte wird klar, dass Bildung uns noch lange nicht davor bewahrt hat, dass Diktator:innen an den Start kommen und die Demokratie umstürzen. Wir selbst müssen also Bürger:innen inspirieren, um ins Handeln zu kommen. Aktionskunst kann solche Prozesse initiieren. 

 

Bezogen auf die aktuelle Lage der Welt, welche gesellschaftspolitischen Veränderungen findest du gerade besonders wichtig? Wo müssen jetzt gerade Menschen zum Handeln bewegt werden? 

Am allerwichtigsten ist für mich gerade die Arbeit im Hinblick auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im nächsten Jahr. Die steigenden Umfragewerte und die Stärke der AfD sind bedrohlich und es gibt immer mehr Menschen, die aus verschiedenen Gründen am Ende doch rechtspopulistisch oder rechtsextrem wählen. Wir wollen einerseits Menschen ins Handeln bringen, Zivilgesellschaft aktivieren und für die Wahlen mobilisieren, andererseits ist unsere Rolle einfach nur, Hoffnung zu spenden, dass in der Politik überhaupt noch das Ruder rumgerissen werden kann.

Wenn wir mit Initiativen vor Ort sprechen, die seit 30 Jahren gegen Rechtsextremismus arbeiten, dann zeigt sich das ganze Bild. Diese Menschen kämpfen und kämpfen die ganze Zeit und es ist einfach immer wieder ein Schlag in die Fresse, dann die Erfolge zu sehen, die die so genannte “Alternative für Deutschland” gerade einfährt.

Dort und an anderen Orten macht sich das Gefühl breit: Was sollen wir noch tun? Was können wir überhaupt? Welche Erzählungen brauchen wir eigentlich? Genau hier kommt für mich die Kunst ins Spiel. Ich finde, Luisa Neubauer hat es mit den Worten „Hoffnung ist harte Arbeit“ gut getroffen, aber ich finde, keine Hoffnung haben ist auch anstrengend. Es geht uns darum, Menschen zur Hoffnung zu inspirieren, und dann ein Narrativ zu entwickeln, das zeigt, dass es sich lohnt, gegen die AfD auf die Straße zu gehen. Was wir aber gerade sehen, ist, dass die Ohnmacht vor Ort zunimmt. Dagegen müssen wir ankämpfen.

 

Die Ohnmacht ist eine sehr mächtige Kraft, die Menschen desillusioniert und ihnen oft den Raum zum Atmen nimmt. Im Rahmen unserer Arbeit im letzten Jahr in Chemnitz haben wir diese Ohnmacht selbst immer wieder gespürt. Gleichzeitig gibt es vor Ort unglaublich starke antifaschistische Stimmen, die weiter kämpfen und immer wieder aufs Neue schaffen, Bündnisse zu bilden, die sich gegen die Ohnmacht behaupten. Was meinst du, welche Rolle kann eure Arbeit in der Aktionskunst vor Ort, speziell im Osten, spielen? 

Ich muss vorher kurz anmerken, dass ich keine Expertin bin und dass ich eine Stimme von sehr vielen bin, die Dinge probiert, um etwas zu verändern. Meine Gedanken sind also aus meiner eigenen Hoffnung und der praktischen Erfahrung entstanden.

Was Aktionskunst einfach kann, ist, Menschen zu inspirieren, politisch zu handeln, auch wenn sie vorher dachten, dass sie nicht politisch sind. Gerade die Menschen, die sich klassischerweise nicht in linken Kollektiven zusammentun, zu Demonstrationen gehen, Petitionen unterschreiben oder sich in die Kommunalpolitik einmischen. Wir versuchen es eben ein bisschen anders, zum Beispiel eben durch Aktionskunst, die Menschen inspiriert mitzumachen, weil es einfach Spaß macht und humorvoll ist. Und dann letztendlich, weil einen das Politische doch packt. Ich glaube, so kann man einfach nochmal ganz andere Menschen mobilisieren. Und die wird man brauchen, um das Ruder herumzureißen.

Aktuell braucht man vor allem in der Kommunalpolitik mehr Aktionskunst, weil wir einfach müde sind von diesen immer gleichen Ständen, an denen man die Person mit dem Luftballon am Stand mit den immergleichen Unterhaltungen antrifft. Also wirklich, da braucht es einen kreativeren Wahlkampf und vielleicht auch ein bisschen mehr Mut in der Frage: „Was haben wir denn eigentlich für eine Vision von unserem Landkreis?“ Und es braucht Gegenerzählungen. Genau diese Gegenerzählungen brauchen künstlerische Erzählungen, Lust, Leidenschaft und auch Emotionen. Emotionen sind im Politischen super wichtig und spielen auch in der deutschen politischen Geschichte natürlich eine problematische Rolle.

 

Die Arbeit mit Emotionen und Geschichten spielt auch bei uns eine große Rolle. In unser Arbeit steht die Beziehungsarbeit an erster Stelle. Es sind oft genau diese Momente der Verletzlichkeit, in der Menschen ihre Menschlichkeit sehen und die ersten Grundsteine des Vertrauens gelegt werden. Wo genau werden für dich Emotionen in deiner aktionskünstlerischen Arbeit relevant und werden Emotionen heutzutage nicht auch zu sehr politisch instrumentalisiert?

Natürlich werden sie gerade auch von Rechts extrem instrumentalisiert, aber wir sind eben emotionale Wesen. Menschen treffen auch aus Emotionalität politische Entscheidungen und deswegen ist es umso wichtiger, sie mitzudenken. Ein Beispiel dafür sind Wahlkampfveranstaltungen und andere politische Momente, die versuchen, Menschen zu mobilisieren. Ich glaube, das allerwichtigste Beispiel in der letzten Zeit war die erste Wahlkampagne »Yes, We Can« von Barack Obama. Sie zeigt genau, wie effektiv ein gutes Narrativ sein kann. Es ist kein aktionskünstlerisches Beispiel, aber es zeigt, wie geschickt ein Aufbruch in eine neue Epoche als leitende Erzählung funktionieren kann.

Ein aktionskünstlerisches Beispiel von mir, damals als ich noch beim Zentrum für politische Schönheit war, wo Emotionen positiv genutzt wurden, ist eine Aktion zum Krieg in Syrien. Zwei Jahre später haben wir die "Kindertransporthilfe des Bundes" gemacht. Das war eine Aktion, bei der wir dazu aufgerufen haben, geflüchtete Kinder aus Syrien in deutsche Familien zu adoptieren. Natürlich war die Aktion ein dreischneidiges Schwert. Angelehnt an die jüdischen Kindertransporte von 1938/39 hat sie aber die richtigen Fragen gestellt: Welche Menschen kann man retten? Welche Menschen darf man retten? Welche Handlung ist in Ordnung? Nach der Aktion haben sich sehr viele Menschen gemeldet, die interessiert waren, sich einzubringen. In jedem Fall haben wir mehr erreicht, als wenn wir nur eine Spendenaktion gemacht hätten.

Aktion “Deutsche Kindertransporthilfe” des ZPS (Bild: Zentrum für politische Schönheit)

Kampagnenvideo “Kindertransporthilfe des Bundes (Video: Zentrum für politische Schönheit)

 

Wo genau stoßt ihr in dieser Arbeit an eure Grenzen und welche Rolle spielen Aufmerksamkeit und Emotionen in eurer Hoffnung, so etwas wie eine künstlerische Erregung öffentlichen Ärgernisses herbeizuführen?

Wir machen immer von Emotionen Gebrauch, gerade auch dann, wenn es um kontroverse Aktionen geht. Ich glaube, dadurch schaffen wir es, Menschen zum Diskutieren und Aushandeln anzuregen und vielleicht auch zu inspirieren, miteinander in einen produktiven Konflikt zu treten. Das alles aber mediiert von einer Kunstaktion. Es geht uns darum, dass man sich mal wieder traut, Fragen zu stellen.

 

Gibt es in eurer Bildungsarbeit auch Methoden, die aktiv versuchen, den Raum vor, während und nach Aktionen zu „facilitaten“ oder spezielle Formate, die Menschen anregen, in den Austausch zu kommen?

In unserer Bildungsarbeit mit den Radikalen Töchtern geht es ganz stark darum, Aktionen zu zeigen und darüber mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Die Art und Weise, wie wir das machen, ist eigentlich hauptsächlich über Rückfragen zu den Aktionen selbst. 

Wir fragen also:
Ist das erlaubt?
Wärst du auch so weit gegangen?
Wo empfindest du deine eigene Schmerzgrenze bei dieser Aktion?
Wer würde sich trauen, bei so einer Aktion mitzumachen?
Wie hat es sich oder würde es sich anfühlen, mit dabei zu sein? 

 

Geht es in eurer Bildungsarbeit auch darum, die Skills der Aktionskunst zu teilen? Und welche anderen methodischen Ansätze zeichnen eure Arbeit aus?

Natürlich geht es in unseren Workshops vor allem um das “Skill der Aktionskunst”, aber ich bin auch schon immer eine Menschenfreundin gewesen und für mich gibt es nichts Schöneres als Menschen dabei zu unterstützen, zu entdecken, dass sie wirklich etwas verändern können. Das ist unsere Hauptmission bei Radikale Töchter. Wir wollen gerade Menschen erreichen, die nicht in unserer “Bubble” sind, also die, die nicht klassisch in linken Kollektiven abhängen, in Großstädten leben oder wählen gehen…  

Es geht vielmehr darum wie wir uns begegnen und ich weiß manchmal gar nicht, wie viele aktionskünstlerische Skills dabei hängen bleiben. Was hängenbleibt, ist ein Lustmachen auf Mut und Veränderung, auf die Welt und auf Politik. Plötzlich macht es Lust, an sich zu glauben und potentiell jemand sein zu können, die:der einen Unterschied macht. In der Nachbarschaft, in der Klasse oder wo auch immer. Genau in diesem direkten Umfeld, da fängt für uns das Politische eigentlich schon an. Es fängt ganz einfach da an, Trinkgeld zu geben, in deiner Klasse gegen Mobbing aufzustehen und im Alltag bewusster dazustehen.

MutMuskelTrainer 2023 (Video: Radikale Töchter)

 

Ein sehr wichtiger Punkt… Gerade diese Frage, wer unsere Zielgruppe ist und wie wir es schaffen können, niedrigschwellige Angebote für die Aushandlung politischer Fragen zu machen. Um bei dem Thema „Accessibility" zu bleiben, würde ich gerne wissen, wer, wie, wann und wo seinen Mutmuskel trainieren kann. Der Mutmuskel ist eine Idee, die ihr in eurer Onlinepräsenz oft erwähnt und ich bin neugierig, ob der Mutmuskel im Kopf aufgebaut werden kann, oder erst wenn man in Aktion geht?

Unsere Arbeit fängt häufig bei diesen Fragen an: „Was macht dich wütend? Was möchtest du überhaupt verändern?” Der erste Mutmuskel wird schon damit trainiert, dass ich bereit bin, das Gefühl der Wut zu empfinden. Weiblich gelesene Personen werden häufig eher depressiv oder traurig wahrgenommen, wenn sie eigentlich wütend sind. Für männlich gelesene Personen ist es viel akzeptierter, wütend zu sein, aber sie werden dann leicht als einfach nur wütend abgestempelt. Keiner schaut dann auf den eigentlichen Kern der Wut. Für mich ist das aber genau der Punkt, wo Mut anfängt. Dann, wenn man sich traut, hinzuschauen. 

Wir merken in unserer Arbeit immer mehr, wie wichtig Selbstempathie ist und dass Menschen auf ihre eigenen Ressourcen achten. Nur so können wir gestärkt in die Welt gehen und ins Handeln kommen. Dieser Anteil ist über die Jahre in unserer Arbeit größer geworden und ich würde sagen, genau hier fängt der Mut an. Sich zu trauen, große Visionen zu haben. “Think big!” bedeutet für uns, dass wenn du am Anfang nur ans Flyerverteilen denkst, dann wird dabei auch immer nur Flyerverteilen herauskommen. 

Plakataktion gegen Rechts (Foto: Radikale Töchter)

Den Mut zu haben, darüber hinaus zu denken, ist ein großer Schritt. Natürlich gibt es verschiedene Typen Mensch. Die einen werden sich vielleicht nie trauen, auf die Straße zu gehen und eine Aktion zu machen, aber vielleicht werden sie dann im Hintergrund andere anschieben, weil sie die richtigen Sachen gelesen haben. Es ist so wichtig, zu vermitteln, dass man auf so vielen unterschiedlichen Wegen aktivistisch oder politisch tätig sein kann. Was für die eine Person schon längst nicht mehr mutig ist, ist für die andere schon ein unfassbar großer Schritt. Und auch Privilegien spielen dabei eine große Rolle, was für eine deutsche Person oder eine männliche Person vielleicht keinerlei Problem darstellt, kann für andere dann wieder schon sehr, sehr problematisch sein, oder sogar zu verrückt und zu gefährlich.

 

In unserer Arbeit mit Aktivist:innen aus Polen und Ungarn spielt Wut eine unglaublich große Rolle. In eurem Workshop bei unserem Youth Movement & Campaign Accelerator Bootcamp in Brandenburg haben viele Teilnehmende zurückgemeldet, welche empowernden Möglichkeiten sie zwischen Wut und Mut in ihrer Arbeit sehen. Ich glaube, viele waren auch überrascht über den positiven Blick auf Wut und die Art und Weise, wie wir uns über unsere Wut ermächtigen können. Im Hinblick darauf würde ich dich gerne fragen, wie du gerade die Rolle von Mut und Wut in der Gesellschaft siehst. Wo stehen wir gerade und wo geht es hin? 

Na ja, also ... Es gibt ja die sogenannten Wutbürger. Ich gendere es jetzt bewusst nicht, weil es sind, glaube ich, 99 Prozent Männer. Ich würde das nicht als die Art von Wut bezeichnen, die wir meinen, weil da einfach nur Wut verwendet wird, um antidemokratische Stimmung zu machen, um Menschenhass wieder zu legitimieren, um einfach unfassbar rückschrittlich zu sein. Deren Ziel ist es, das System, in dem wir leben, nicht noch besser, offener und gerechter zu machen, so wie es im Grundgesetz steht, sondern eigentlich wollen sie die Verfassung delegitimieren und manche sogar stürzen. Deswegen würde ich mich davon ganz klar distanzieren. Wir meinen eine andere Wut und zwar die, die in etwas Konstruktives umgewandelt wird. 

Leider sehe ich wenig konkrete Arbeit mit Emotionen in der politischen Bildungslandschaft. Das ist meiner Meinung nach ziemlich fatal, weil wir unbedingt die Kraft der Emotionen in unserer Bildungsarbeit nutzen müssen.

Ich finde, wir selbst sind auch nicht gerade besonders mutig. Ich merke es einfach daran, dass Gelder für die zigste Publikation und Konferenz ausgegeben werden, wo immer die gleichen Leute eingeladen werden und das Immergleiche gesagt wird, aber dass es nie neue Ideen und Visionen gibt. Wo bleiben die künstlerischen In(ter)ventionen? Die Bildungsarbeit schafft es noch nicht mal, Museen, Theater und Konferenzen zu öffnen, was seit Jahren angekündigt wird, sondern reproduziert das Bild, in dem die gleichen weißen Menschen miteinander diskutieren. Mutig ist das nicht. Die trauen sich ja noch nicht einmal aus ihrem Konferenzhaus heraus... Einen Versuch wäre es wert! Was denkst du zu der Rolle von Mut?

 

In unserer Arbeit in Chemnitz habe ich schnell gemerkt, welche große Rolle Emotionen spielen. Ein spannendes Phänomenen hier ist das Kümmerer:innen-Prinzip. Es handelt sich hier um rechte Kräfte, die die Funktion der Fürsorge in der lokalen Community übernehmen. Sie bieten Hausaufgabenhilfe und Sportangebote an und unterstützen benachteiligte Bürger:innen in ihren Anliegen. Diese Form von gegenseitiger Unterstützung schafft Vertrauen und löst konkrete Probleme. Es ist beängstigend und gleichzeitig spannend zu sehen, wie die Politik der Fürsorge hier benutzt und instrumentalisiert wird. Wer am Ende die Sprechstunde für alleinerziehende Mütter mit finanziellen Problemen macht, wird auch bei anderen Problemen konsultiert…  

Reportage “Gefahr von Rechts: So funktioniert die Kümmerer-Masche” (Video: ZDF)

 

… Viele Bedürfnisse, die in dieser Care-Arbeit abgedeckt werden, hängen eng mit der Arbeit mit Emotionen zusammen. Während in vielen linken Kreisen fast schon eine elitäre Praktik von sogenanntem nachhaltigen Aktivismus praktiziert wird, spielen die alltäglichen Bedürfnisse von nicht politisch sozialisierten Menschen, Arbeiter:innen und anderen Teilen der Gesellschaft leider häufig nur eine untergeordnete Rolle.

Ich sehe das sehr ähnlich. Viele dieser Räume sind und bleiben elitär. Wir versuchen diese Spaltungen in unseren Workshops aufzubrechen und erklären immer, warum wir etwas auf eine bestimmte Weise machen, zum Beispiel Gendern. Gendern kann auch super krass elitär sein oder auf jeden Fall abgehoben wirken. Wir müssen uns ehrlich fragen: Verwenden wir eine Sprache, die nur bestimmte Menschen verstehen? Ist unser Programm abgehoben oder ist es alltagstauglich?

 

Welche Herangehensweisen nutzt ihr in eurer Arbeit, um genau das zu erreichen? Arbeitet ihr mit leichter Sprache? Wie kommt ihr zu euren Teilnehmenden und gerade den Gesprächen, in denen Teilnehmende vielleicht nicht schon in der ersten Klasse mit ihren Eltern im Museum waren? Wie ist euer Ansatz als Radikale Töchter, um mit Menschen zu arbeiten, die weniger privilegiert sind?

Wir machen unseren Outreach vor allem über Personen, die uns dann mit Gruppen verbinden. Das können Sozialarbeiter:innen sein oder zum Beispiel Vertrauenslehrer:innen. Am besten funktioniert das beispielsweise über Schulen oder Berufsschulen. Gerade Auszubildende sind eine Zielgruppe von uns, weil wir schauen wollen, wie wir Kunst und Politik zusammenbringen können mit denen, die nach der 10. Klasse die Schule verlassen. Dabei stellen sich uns immer wieder wichtige Fragen, wie zum Beispiel “Wie begegnet man Menschen, die irgendwo in Sachsen auf dem Land wohnen oder gerade eine Industriemechaniker-Ausbildung machen?” Überall gibt es verschiedene Codes und man merkt immer wieder, wie viele Vorurteile auch bei uns in den Köpfen sind. Zugang funktioniert am besten über Hebelpersonen, die uns direkt hereinholen, wie zum Beispiel in einer Kooperation mit der Freiwilligen Feuerwehr.

Für Aktionskunst braucht es keinerlei Vorwissen. Es geht bei uns viel darum, das Eis zu brechen, Menschen zum Fragen zu ermutigen, zu experimentieren und sie dabei zu unterstützen, auch wenn mal etwas schiefgeht. 

 

Also ich sehe hier auf jeden Fall Humor, Fragen und Kreativität als methodisches Repertoire. Gibt es noch andere konkrete Methoden, die eure politische Bildungsarbeit ausmachen?

Natürlich Aktionskunst an sich! Alles, was aktionskünstlerisch möglich ist und sich an den Grenzen zur Legalität bewegt. Aktionskünstler:innen sind häufig die Underdogs der Gesellschaft und werden so zu När:innen, die den Mächtigen auch mal einen Streich spielen können. Diese Herangehensweise macht Jugendlichen richtig viel Spaß und selbst ganz brave Teenager kommen aus sich heraus oder finden es total krass, was wir gemacht haben. Es ist einfach etwas anderes, vor den Jugendlichen als Künstler:innen im Anzug zu stehen und nicht als politische Bildner:innen. Diese Präsenz würde ich zu unseren Methoden zählen, aber natürlich auch Snacks und viele Pausen. So wichtig, um einfach mal abzuhängen und richtig mitzugestalten. Bei uns gibt es wenig Frontalbelehrung und die Teilnehmenden können unsere Zeit gemeinsam durch den “Code of Conduct” gestalten. Diese gemeinsamen Regeln sind ein toller Rahmen, auch wenn sie mal mehr, mal weniger funktionieren.

Gibt es einen Grund, warum ihr den Fokus auf Jugendlichen habt? Oder arbeitet ihr auch mit Menschen im Altersheim zusammen?

Ausschlaggebend bei unserer Gründung war auf jeden Fall, unsere Beobachtung, dass Jugendliche gerade auf dem Land weder wählen wollen noch sich in der Politik einbringen. Als es dann um die konkrete Wahlbeteiligung ging, dachten wir nur: “Oh fuck, das wird die nächste Generation!” Wir arbeiten natürlich auch extern zum Beispiel mit Gewerkschafter:innen zusammen, wo unsere Teilnehmenden dann von Menschen in Rente über ehrenamtliche Betriebsratsmitglieder bis hin zu ganz jungen Gewerkschaftsmitgliedern reichen. Ich glaube, im Hinblick auf die Zielgruppe können wir eher zwischen denen unterscheiden, die bereits politisch aktiv sind, und denen, zu denen wir zum Beispiel erst Kontakt durch Vertrauenslehrer:innen erhalten.

 

Wie schätzen andere Kollektive eure Arbeit ein? Ich habe das Gefühl, dass ihr als seriös und mit starker Präsenz wahrgenommen werdet. Ist diese (auch mediale) Präsenz ein Teil eurer Strategie? Und setzt ihr diese Sichtweise auch bewusst zum Beispiel für Lobbying ein? Welche Rolle spielt das “ernstgenommen werden”?

Ich glaube, ein großer Teil unserer Theory of Change ist auf jeden Fall, Menschen ernstzunehmen. Wir nehmen jede Person ernst und vermuten, dass in der Person eine Changemaker:in sein könnte. Häufig werden Menschen in der Gesellschaft nicht ernst genommen. Gleichzeitig ist „ernst nehmen und genommen werden“ auch etwas, das ich aus meiner Arbeit mit dem Zentrum für politische Schönheit gelernt habe. Es gibt so viele Kollektive und Menschen, die so eine wichtige Arbeit machen, vor allem weibliche Kollektive, die sich unter den Scheffel stellen und nicht toll genug verkaufen. Also ja “ernst genommen werden” ist natürlich wichtig. Öffentlichkeitsarbeit, zum Beispiel, ist verdammt wichtig, um zu zeigen, was für eine wichtige Arbeit geleistet wird. Wir vermitteln auch die Relevanz und wie wichtig es ist, sich selbst in seiner Arbeit ernst zu nehmen. Und dass dazu gehört, eben richtige und gerechte Löhne zu verlangen. Öffentlichkeitsarbeit kostet Zeit. Dafür braucht man eine Stelle. Punkt, Aus.

Instagram-Kanal von Radikale Töchter

 

Gleichzeitig finde ich es aber auch spannend, wie viele Graswurzelkollektive gerade am Laptop sitzen und versuchen, eine “Marketingstrategie” zu entwickeln. Die Relevanz der Internetpräsenz hat sich auf jeden Fall verändert. Wie sieht das bei euch aus? Welche Rolle spielt Marketing in eurer Arbeit und ist sie vielleicht auch Teil eurer Theory of Change?

Vielleicht sind wir im Vergleich zu anderen Gruppen schon sehr “visible”, aber wir finden eben auch, dass man gerade in Online-Räumen die inhaltlichen Auseinandersetzungen, wie zum Beispiel Fragen zu Feminismus, pushen muss. Politische Bildung kann kein Nischenraum bleiben, in dem 25 Leute erreicht und davon nur drei nachhaltig interessiert bleiben. Wir müssen uns fragen, wie wir nachhaltiger politische Online-Bildungsarbeit machen können. Natürlich ist es da auch schon cool und wichtig, wenn ein 16-jähriges Mädchen aus dem ländlichen Raum unserem Instagram-Account folgt, die nicht die Chance bekommt, mit uns in einem Workshop zu sitzen. Wir siedeln uns bewusst in diesem popkulturellen Bereich an, um genau in dieser Zielgruppe Themen zu setzen und inspirierend zu sein – an der Schnittstelle von Influencer:innentum, politischer Bildung und Kunst.

 

Popkultur – das leuchtet richtig ein jetzt! Seid ihr eigentlich schon auf TikTok? 

Yes, wir sind schon auf TikTok. Das ist aber noch eine schwierige Plattform für uns, aber wir sind dran!

Unser Gespräch hat mich nachdenklich gemacht und ich muss an adrienne maree brown denken. Brown ist  eine bekannte politische Bewegungsforscherin und -bildnerin und hat einen sehr beliebten Instagram-Account, der hauptsächlich aus Memes besteht. In ihrem Buch “Pleasure Activism” geht es zentral um die Frage, welche Rolle Vergnügen und Freude in unseren politischen Kämpfen gegen die Ungerechtigkeiten der Welt spielen. Sie wurde stark von der Black Liberation-Bewegung beeinflusst. Während ihre Arbeit international gefeiert wird, ist im deutschen Kontext die Rolle von Spaß, Lust und Freund:innenschaft in der politischen Arbeit davon noch weit entfernt, habe ich oft das Gefühl. Ich bin gespannt was Cesy dazu denkt.

 

Das kann ich total nachvollziehen und frage mich oft, was die Ansprüche für politische Bildung bei TikTok wären. Um nochmal auf unser Thema zuvor zurückzukommen. Spaß und Freude spielen in euren Aktionen und der politischen Bildungsarbeit eine große Rolle. Wie wird für dich “pleasure” politisch und wie bekommen wir Menschen von ihrem Handy weg und raus auf die Straße?

Spannende Frage! Obwohl unser Ansatz natürlich sehr ernste Themen behandelt, brauchen wir auf jeden Fall Spaß, um Menschen begeistern zu können. Es fängt an, dass wir zusammensitzen und Snacks essen. Natürlich sind wir sowieso mit coolen Leuten verbunden und dann geht es oft um den Space, zum Beispiel darum, Kinderbetreuung anzubieten. In diesen Räumen kann ich mit anderen politischen Eltern zusammensitzen und ins Gespräch kommen. Freude und Gemeinschaft verbinden einfach. Ich persönlich bin auch ein großer Fan von Demos, bei denen die Leute Musik dabei haben. In Deutschland läuft das ganze oft ernst und scheint nicht miteinander vereinbar. Ein anderes gutes Beispiel ist der Christopher Street Day (CSD), da sieht man, dass es geht. Ich glaube, Party und Aktivismus und Pleasure gehören unbedingt dazu und wir könnten so noch mehr Menschen mit unserer Arbeit erreichen. Da sollten wir uns immer an Emma Goldman erinnern: “If I can't dance, I don't want to be part of your revolution.”

 

Wie wunderbar – ein Appell an Pleasure! Die letzte Frage für heute wäre: Worauf hättest du mal so richtig Bock? Worauf hättet ihr als Radikale Töchter mal so richtig Bock?

Also, ich kann nur für mich sprechen, aber vielleicht hätten die anderen auch Lust. Vor kurzem kam eine Idee bei einem Workshop auf, bei dem es darum ging, wie wir männliche Räume aufbrechen können. Also zum Beispiel die Räume, in denen Fußball-Dudes besoffen herumschreien und den ganzen Raum einnehmen. Da kam eine Aktionsidee auf, auf die ich mega Bock habe. Auch in Bezug auf AfD-Wahltage und Parteitage … Die Idee war es, sich als riesengroße Schaumstoffbrüste zu verkleiden und einfach in einer riesigen Gruppe von Männern Platz zu nehmen. So kann man sich künstlerisch den Raum nehmen und gleichzeitig stören.

 

Sehr coole Idee! Vielen Dank für das Gespräch … und ich freue mich schon darauf, die Aktion irgendwann zu sehen!

About the contributor

Cesy Leonard
Politische Aktionskünstlerin und Bildnerin

Cesy Leonard (sie/ihr) ist Aktionskünstlerin und Gründerin von Radikale Töchter, ihr besonderes Interesse gilt dem politischen Empowerment von Menschen an der Schnittstelle von Kunst und Politik. Bis 2019 war sie fester Teil des künstlerischen Stabs des Zentrum für Politische Schönheit. Radikale Töchter sind ein Projekt, in dem die Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst aufgehoben werden. Menschen werden inspiriert, ins Handeln zu kommen, sich einzusetzen für Demokratie, Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit. Cesy Leonard ist Mutter zweier Kinder und lebt in Berlin.