Video “Macht kommt von Machen” von Radikale Töchter 2021 (Video: Radikale Töchter)
Jana Ahlers: Hey Cesy, wie bist du dazu gekommen, was du gerade machst?
Cesy Leonard: Ich heiße Cesy Leonard, komme ursprünglich aus Süddeutschland und bin die Tochter einer aus der DDR geflohenen Mama und eines australischen Papas. Ich bin also damit aufgewachsen, mich nicht ganz zuhause zu fühlen, auch wenn man weiß ist oder weiße Elternteile hat. Anfang der Neunziger Jahre, noch als Kind, mit den Bränden in den Asylbewerberheimen wurde ich politisiert und habe mich gefragt: Wer ist eigentlich willkommen in diesem Land?
Ansonsten wollte ich schon immer künstlerisch arbeiten. Das hat mich einfach schon immer total angezogen. Zuerst die Musik ... Ich habe jahrelang in Stuttgart Hip-Hop-Musik gemacht und Graffitis gemalt, und später war ich im Schauspiel aktiv und habe selbst Filme gedreht. Erst danach bin ich zum Zentrum für Politische Schönheit gekommen und habe dort meine künstlerische Heimat gefunden – an der Schnittstelle zwischen aktivistischen Arbeiten und künstlerischen Aktionen.
Für mich heißt das, Filme zu drehen, Geschichten zu erzählen und vor allem aber die Momente zu inszenieren, in denen andere politisiert werden. Genau diese Leidenschaft, die Inszenierung der Momente, in denen Menschen politisiert werden, hat mich dann zur Gründung von Radikale Töchter bewegt. Mich hat die Frage, wie man Menschen ins Handeln bringt, schon immer interessiert und ich fand den politischen Bildungsbegriff einfach viel zu kurz gedacht. Gerade aus der Sicht der deutsch-deutschen Geschichte wird klar, dass Bildung uns noch lange nicht davor bewahrt hat, dass Diktator:innen an den Start kommen und die Demokratie umstürzen. Wir selbst müssen also Bürger:innen inspirieren, um ins Handeln zu kommen. Aktionskunst kann solche Prozesse initiieren.
Bezogen auf die aktuelle Lage der Welt, welche gesellschaftspolitischen Veränderungen findest du gerade besonders wichtig? Wo müssen jetzt gerade Menschen zum Handeln bewegt werden?
Am allerwichtigsten ist für mich gerade die Arbeit im Hinblick auf die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im nächsten Jahr. Die steigenden Umfragewerte und die Stärke der AfD sind bedrohlich und es gibt immer mehr Menschen, die aus verschiedenen Gründen am Ende doch rechtspopulistisch oder rechtsextrem wählen. Wir wollen einerseits Menschen ins Handeln bringen, Zivilgesellschaft aktivieren und für die Wahlen mobilisieren, andererseits ist unsere Rolle einfach nur, Hoffnung zu spenden, dass in der Politik überhaupt noch das Ruder rumgerissen werden kann.
Wenn wir mit Initiativen vor Ort sprechen, die seit 30 Jahren gegen Rechtsextremismus arbeiten, dann zeigt sich das ganze Bild. Diese Menschen kämpfen und kämpfen die ganze Zeit und es ist einfach immer wieder ein Schlag in die Fresse, dann die Erfolge zu sehen, die die so genannte “Alternative für Deutschland” gerade einfährt.
Dort und an anderen Orten macht sich das Gefühl breit: Was sollen wir noch tun? Was können wir überhaupt? Welche Erzählungen brauchen wir eigentlich? Genau hier kommt für mich die Kunst ins Spiel. Ich finde, Luisa Neubauer hat es mit den Worten „Hoffnung ist harte Arbeit“ gut getroffen, aber ich finde, keine Hoffnung haben ist auch anstrengend. Es geht uns darum, Menschen zur Hoffnung zu inspirieren, und dann ein Narrativ zu entwickeln, das zeigt, dass es sich lohnt, gegen die AfD auf die Straße zu gehen. Was wir aber gerade sehen, ist, dass die Ohnmacht vor Ort zunimmt. Dagegen müssen wir ankämpfen.
Die Ohnmacht ist eine sehr mächtige Kraft, die Menschen desillusioniert und ihnen oft den Raum zum Atmen nimmt. Im Rahmen unserer Arbeit im letzten Jahr in Chemnitz haben wir diese Ohnmacht selbst immer wieder gespürt. Gleichzeitig gibt es vor Ort unglaublich starke antifaschistische Stimmen, die weiter kämpfen und immer wieder aufs Neue schaffen, Bündnisse zu bilden, die sich gegen die Ohnmacht behaupten. Was meinst du, welche Rolle kann eure Arbeit in der Aktionskunst vor Ort, speziell im Osten, spielen?
Ich muss vorher kurz anmerken, dass ich keine Expertin bin und dass ich eine Stimme von sehr vielen bin, die Dinge probiert, um etwas zu verändern. Meine Gedanken sind also aus meiner eigenen Hoffnung und der praktischen Erfahrung entstanden.
Was Aktionskunst einfach kann, ist, Menschen zu inspirieren, politisch zu handeln, auch wenn sie vorher dachten, dass sie nicht politisch sind. Gerade die Menschen, die sich klassischerweise nicht in linken Kollektiven zusammentun, zu Demonstrationen gehen, Petitionen unterschreiben oder sich in die Kommunalpolitik einmischen. Wir versuchen es eben ein bisschen anders, zum Beispiel eben durch Aktionskunst, die Menschen inspiriert mitzumachen, weil es einfach Spaß macht und humorvoll ist. Und dann letztendlich, weil einen das Politische doch packt. Ich glaube, so kann man einfach nochmal ganz andere Menschen mobilisieren. Und die wird man brauchen, um das Ruder herumzureißen.
Aktuell braucht man vor allem in der Kommunalpolitik mehr Aktionskunst, weil wir einfach müde sind von diesen immer gleichen Ständen, an denen man die Person mit dem Luftballon am Stand mit den immergleichen Unterhaltungen antrifft. Also wirklich, da braucht es einen kreativeren Wahlkampf und vielleicht auch ein bisschen mehr Mut in der Frage: „Was haben wir denn eigentlich für eine Vision von unserem Landkreis?“ Und es braucht Gegenerzählungen. Genau diese Gegenerzählungen brauchen künstlerische Erzählungen, Lust, Leidenschaft und auch Emotionen. Emotionen sind im Politischen super wichtig und spielen auch in der deutschen politischen Geschichte natürlich eine problematische Rolle.
Die Arbeit mit Emotionen und Geschichten spielt auch bei uns eine große Rolle. In unser Arbeit steht die Beziehungsarbeit an erster Stelle. Es sind oft genau diese Momente der Verletzlichkeit, in der Menschen ihre Menschlichkeit sehen und die ersten Grundsteine des Vertrauens gelegt werden. Wo genau werden für dich Emotionen in deiner aktionskünstlerischen Arbeit relevant und werden Emotionen heutzutage nicht auch zu sehr politisch instrumentalisiert?
Natürlich werden sie gerade auch von Rechts extrem instrumentalisiert, aber wir sind eben emotionale Wesen. Menschen treffen auch aus Emotionalität politische Entscheidungen und deswegen ist es umso wichtiger, sie mitzudenken. Ein Beispiel dafür sind Wahlkampfveranstaltungen und andere politische Momente, die versuchen, Menschen zu mobilisieren. Ich glaube, das allerwichtigste Beispiel in der letzten Zeit war die erste Wahlkampagne »Yes, We Can« von Barack Obama. Sie zeigt genau, wie effektiv ein gutes Narrativ sein kann. Es ist kein aktionskünstlerisches Beispiel, aber es zeigt, wie geschickt ein Aufbruch in eine neue Epoche als leitende Erzählung funktionieren kann.
Ein aktionskünstlerisches Beispiel von mir, damals als ich noch beim Zentrum für politische Schönheit war, wo Emotionen positiv genutzt wurden, ist eine Aktion zum Krieg in Syrien. Zwei Jahre später haben wir die "Kindertransporthilfe des Bundes" gemacht. Das war eine Aktion, bei der wir dazu aufgerufen haben, geflüchtete Kinder aus Syrien in deutsche Familien zu adoptieren. Natürlich war die Aktion ein dreischneidiges Schwert. Angelehnt an die jüdischen Kindertransporte von 1938/39 hat sie aber die richtigen Fragen gestellt: Welche Menschen kann man retten? Welche Menschen darf man retten? Welche Handlung ist in Ordnung? Nach der Aktion haben sich sehr viele Menschen gemeldet, die interessiert waren, sich einzubringen. In jedem Fall haben wir mehr erreicht, als wenn wir nur eine Spendenaktion gemacht hätten.
Aktion “Deutsche Kindertransporthilfe” des ZPS (Bild: Zentrum für politische Schönheit)