Der RAA Sachsen e.V. ist einer dieser vielen Vereine in Deutschland, ohne den die vielbeschworene “wehrhafte Demokratie” noch viel wehrloser wäre, als sie eh schon ist. Insbesondere in Ostdeutschland, wo die Probleme mit rechter Gewalt, den Netzwerken von rechten Gruppierungen und Rassismus eine besondere Qualität haben, könnte die Zivilgesellschaft ohne viele engagierte Antifaschist:innen und Vereine wie den RAA Sachsen e.V. kaum einen Stich machen. Denn der Verein macht nicht nur wichtige Aufklärungs- und Bildungsarbeit, sondern berät und unterstützt Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt, wo immer Hilfe gebraucht wird.
Ich habe Jörg Buschmann erst kurz vor dem Interview auf dem Parlamentarischen Abend der Bundeszentrale für politischen Bildung (bpb) kennengelernt und recherchiere vor unserem Gespräch noch im Internet, wie dieses NSU-Dokumentationszentrum eigentlich aussehen soll, das der Verein mit vielen Akteur:innen und Initiativen gerade vorantreibt. Und mir fällt schnell auf, dass es hier nicht um einen einfachen physischen Ort der Dokumentation des Schreckens geht, sondern um einen Ort, der nicht ohne die Menschen denkbar ist, die selbst betroffen waren, sind oder sein könnten.
Georg Blokus: Hallo Jörg, wer bist Du, was machst Du und wie bist Du eigentlich dazu gekommen?
Jörg Buschmann: Ich heiße Jörg Buschmann und bin in einer ländlichen Regionen von Sachsen aufgewachsen, in der rechte Gewalt allgegenwärtig war, oder zumindest ein Thema, mit dem man sich auseinandersetzen musste, wenn man in das Raster fiel, das die Nazis als Feind ausgemacht haben. Auch während des Studiums blieb das Thema aktuell: Die großen jährlichen Naziaufmärsche und die erinnerungspolitischen Debatten zum 13. Februar in Dresden haben mich damals stark beschäftigt.
Unser Verein hat sich dabei über die Jahre stark weiterentwickelt. Aktuell sind wir vor allem in Sachsen lokal aktiv in der Beratung für Betroffene rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Zur Zeit haben wir Büros in Dresden, Chemnitz, Leipzig und Görlitz und vielleicht auch bald wieder in Plauen. Neben der Beratung gibt es diverse Bildungs- und Gemeinwesensprojekte, vorwiegend in Dresden, Hoyerswerda, Bernsdorf, Bautzen und im ostsächsischen Raum.
In meiner Vergangenheit war ich bei verschiedenen aktivistischen Initiativen aktiv, wie zum Beispiel NSU Watch Sachsen. Wir haben uns nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 damit beschäftigt, den zweiten sächsischen Untersuchungsausschuss anzuschauen und das Wissen, was dort generiert wurde, in die Öffentlichkeit zu tragen, weil dies nur partiell stattgefunden hat. Die Auseinandersetzung mit rechter Gewalt ist auf jeden Fall ein roter Faden in meiner persönlichen, professionellen und politischen Biografie.
Ganz naiv gefragt, wie kann ich eigentlich anderen Menschen erklären, was der Sinn und Zweck dessen ist, rechte Gewalt zu monitoren und zu dokumentieren und damit häufig der Stachel im Fleisch der bürgerlichen Mitte zu sein, die oft nichts von der bösen Welt um sie herum wissen will? Die Mitte-Studie hat das ja erst kürzlich wieder erschreckend zutage gebracht.
Ich glaube, es gibt ein grundsätzliches gesamtgesellschaftliches Wahrnehmungsproblem, was das Phänomen rechte Gewalt angeht. Es gab und gibt immer noch eine große Präsenz rechter Gewalt, die mancherorts nahezu zum Alltag gehört, sodass sie irgendwann kaum noch als Problem wahrgenommen, “toleriert” und nicht selten sogar akzeptiert wird.
Es geht hier nicht nur um Menschen in Sachsen, aber die Region ist besonders betroffen und das zieht sich zurück bis zur Wiedervereinigung. Hoyerswerda ist im Jahr 1991 bekannt geworden durch eines der ersten großen Pogrome nach der Wiedervereinigung. Jegliche Beschäftigung mit diesen Themen hat letzten Endes immer Nestbeschmutzungsreflexe ausgelöst, weil es mit dem Selbstbild Sachsens nicht harmoniert. Jenes Selbstbild, das besagt, dass wir jetzt demokratische Verhältnisse haben und den Weg zu “blühenden Landschaften” beschreiten. Genau diese Widersprüche stoßen auf gesellschaftliche Widerstände, wenn man sie anspricht.
Ich verstehe Aufklärungsarbeit als eine wichtige Basiskomponente Eurer Arbeit. Wie würdest Du die Effekte Eurer Arbeit beschreiben? Die Effekte des Sichtbarmachens von Zahlen, von Geschichten, von Daten sowohl auf Menschen als auch auf die Zivilgesellschaft, die Politik und die Verwaltung?
Es gibt ganz unterschiedliche Effekte. Ein konkretes Beispiel sind die langen Diskussionen darüber, wer als Todesopfer rechter Gewalt gezählt wird. Es gibt eine offizielle Statistik der Bundesregierung, die aus den Länderdatenbanken gespeist wird, diese nennt jedoch eine sehr viel niedrigere Zahl als unabhängige Projekte, wie die Amadeu Antonio Stiftung. Genau diese Diskrepanz sichtbar zu machen ist einer unserer Ansprüche, mit dem Zweck, staatliche Akteur:innen an ihre Rechenschaftspflicht zu erinnern.
Denn eines ist klar, hinter jeder Zahl steht ein konkreter Mensch, der von rechter Gewalt betroffen ist oder sogar sein Leben verloren hat. Das sichtbar zu machen ist enorm wichtig, weil das Konzept rechter Gewalt letzten Endes darauf abzielt, genau diese Menschen aus unserer Gesellschaft auszuschließen. Wenn wir die Taten ignorieren und nicht sichtbar machen, würden wir genau diesen Ausschluss implizit weiter verstärken.
Wir stellen in unserer Arbeit nicht nur generelle Sichtbarkeit her, sondern auch die Sichtbarkeit von Betroffenen untereinander. Menschen merken, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und mehr Personen ihre Erfahrungen teilen. Oft passieren die Taten nämlich in Situationen, in denen sich Betroffene sowieso schon gesellschaftlich als isoliert wahrnehmen. Genau das aufzubrechen ist auch ein Ziel von uns. Ein konkretes Beispiel ist unsere Statistik zu rechter und rassistischer Gewalt in Sachsen, die seit 2009 vergleichbare Zahlen liefert und bis heute über 5.400 Personen dokumentiert hat, die von rechten Angriffen betroffen waren. Natürlich nehmen die Berater:innen gleichzeitig auch Kontakt mit den Betroffenen auf und bieten vielfältige Unterstützung an.
Ich denke, die Mischung aus Monitoring und Aufklärung, Beratungs- und Bildungsarbeit ist sehr wichtig und es gibt sie ja nicht besonders häufig. Die Realität, dass es in Eurem Kontext konkret um physische und psychische Gewalt geht, die Menschen existenziell bedroht, bringt mich zu meiner nächsten Frage: Wer sind die Menschen, mit denen Ihr zusammenarbeitet und was für Probleme und Ängste treiben diese Menschen um?
Ich muss für diese Frage nochmal kurz klarstellen, dass ich nicht in der Beratung arbeite und meine Kolleg:innen da mehr Praxiserfahrungen haben. Das Projekt zum NSU-Dokumentationszentrum gibt dazu aber auch Einblicke. Wir versuchen immer, auch in diesem Projekt, die Betroffenenperspektiven stark zu machen und die Angehörigen der NSU-Opfer und die Überlebenden der Anschläge einzubinden. Wir respektieren aber auch, wenn es daran kein Interesse gibt. Wo immer erwünscht, versuchen wir einen Wissensfluss herzustellen, über den Projektstand zu informieren und die Möglichkeiten aufzuzeigen, die wir gerade haben, um sich zu engagieren. Diese Angebote werden gut angenommen, das Interesse an der Idee eines NSU-Dokumentationszentrums ist sehr groß.
Das Hauptziel, von den Bedürfnissen der Betroffenen und Angehörigen ausgehend, wäre, dass das NSU-Dokumentationszentrum nicht zu einer allein symbolischen Beschäftigung wird, sondern konkrete Verbesserungen der Situation der Betroffenen herbeiführt. Etwa wenn es um die langfristige Begleitung bei der Bewältigung traumatischer Folgen geht. Hier wurde der Bedarf nach mehr Fachexpertise benannt.
Ein wiederkehrendes starkes Bedürfnis besteht im Wunsch nach Anerkennung der Fehler, die von staatlichen Stellen begangen wurden. “Wir erkennen es an”, muss heißen, dass der Staat Verantwortung übernimmt, indem er Ressourcen zur Verfügung stellt, sodass die Betroffenen diejenigen sind, die darüber mitbestimmen und mitentscheiden können, wie an die Opfer des NSU erinnert wird und was politisch verändert gehört.
Natürlich macht Ihr damit auch Interessenvertretungsarbeit. Immer wieder ist man da doch in der Rolle der Kassandra, deren Warnrufen und Prophezeiungen, dass die Dinge immer schlimmer werden könnten, nicht geglaubt wird. Werden die Ängste im Kontext des NSU-Dokumentationszentrums denn wenigstens ernst genommen?
In Sachsen ist es ein hartes Geschäft, Gehör zu finden. Natürlich nicht immer erfolglos. Es gibt hier eine starke Zivilgesellschaft und natürlich gibt es Politiker:innen, die uns unterstützen. Aber es gibt auch viel Luft nach oben: Auf sächsischer Ebene wurden z.B. die Naziaufmärsche der NPD durch Pegida (Abkürzung für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") abgelöst, und die Reaktionen darauf hätten besser sein können. Dabei haben die politisch Verantwortlichen das Problem noch vergrößert, indem man mehr Resonanzraum geschaffen hat, was leider ein häufiges und wiederkehrendes Problem ist.
Ich glaube, dass es nicht förderlich ist, sich so auf den politischen Gegner zu fokussieren und diesem inhaltlich nachzueifern. Neuerdings erleben wir dies sogar auf der bundespolitischen Ebene. Im globalen Raum ist es ein wachsendes Problem, bei dem wir in vielen Fällen am Scheideweg stehen. An manchen Orten ist es sogar schon zu spät, wenn ich an Ungarn oder Italien denke. Dort sind Parteien an der Macht, die aus einem rechtsnationalistischen Lager kommen. Die Gefahr existiert auch hier.
Lange Zeit haben Menschen in Deutschland die AfD nicht als großes Problem angesehen und gesagt, “Das gehen wir jetzt erstmal entspannt an.” Heute sitzt die AfD in Sachsen mit 27% im Landtag. Die Dynamik kann sich schnell ausweiten und die Umfrage zur Landtagswahl zeigen das ja auch. Auf Bundesebene wurde lange gesagt, dass es ein ostdeutsches Phänomen sei und nicht ein Problem der Gesamtgesellschaft. “Löst das vor Ort!“
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zu einem NSU-Dokumentationszentrum bekannt. Ich frage mich im Gespräch mit Jörg, was das einerseits bedeutet, dieses Bekenntnis. Und andererseits, wie viel dieses Bekenntnis wert wäre, wenn es nicht eine Zivilgesellschaft gäbe, die entschlossen ist, ein solches Projekt umzusetzen. Und gleichzeitig überkommt mich etwas die Angst bei der Vorstellung, dass die nächsten Wahlen in Sachsen und womöglich auch bei der Bundestagswahl mit ihren Ergebnissen harte Konsequenzen für die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteur:innen, die sich gegen rechte und rassistische Gewalt einsetzen, haben könnten.
Livestream der Studienvorstellung über ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex in Südwestsachsen (Quelle: RAA Sachsen e.V.)
Was müsste zivilgesellschaftlich passieren, damit so eine Idee wie die des NSU-Dokumentationszentrums realisiert werden kann, egal wer an der Macht ist? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit wir alle gemeinsam ein Stück weiterkommen?
Wir haben eine relativ umfangreiche “Konzeptions- und Machbarkeitsstudie für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex in Südwestsachsen” gemacht, die deutlich zeigt, dass es das Projekt braucht. Das inhaltliche Programm ist klar, aber was fehlt, sind Ressourcen und eine Struktur, die dauerhaft funktioniert. Beides können Bund und Länder liefern, in dem sie verbindlich Haushaltsmittel einplanen und eine Stiftung initiieren. Wichtig dabei ist, dass der Staat anerkennt, sich inhaltlich ein Stück zurückzunehmen, um den Menschen das Feld zu überlassen, die betroffen sind und dazu direktes Erfahrungswissen haben und Expertise zum NSU-Komplex besitzen. Was es weiterhin braucht: eine kritische Zivilgesellschaft und Öffentlichkeit, die bereit ist für die Losung “Kein Schlussstrich!” einzustehen.
Wie wir alle weiterkommen, ist eine spannende Frage. Mit Blick auf Polen und Ungarn, die USA unter Trump oder Meloni in Italien würde ich mir mehr internationalen Austausch wünschen. Was passiert da und wie? Ich glaube, so ein internationaler Austausch könnte sehr lehrreich sein und würde uns noch besser voranbringen, um unabhängiger von politischen Regierungskonstellationen die zivilgesellschaftliche Handlungsmacht zu stärken.
Ich denke in diesem Moment an zwei Ereignisse aus dem Jahr 2017 zurück, denen ich beigewohnt habe. Den internationalen Naziaufmarsch in Warschau zum polnischen Unabhängigkeitstag und das “Tribunal NSU-Komplex auflösen” in Köln. Zwei Ereignisse, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das eine beängstigend, wie ich selten etwas anderes erlebt habe, und das andere voller Widerstand gegen Rassismus und rechte Gewalt und Hoffnung auf eine Gesellschaft der Vielen. Als ich dort im Schauspiel Köln den Worten der vielen Betroffenen und Initiativen tagelang zuhörte, hatte ich ein viel zu seltenes Gefühl: Macht. Wenn Menschen sich nicht zum Schweigen bringen lassen und sich zusammentun, sich organisieren und unterstützen, um die Verhältnisse so zu verändern, dass wir füreinander sorgen können, wie wir es uns wünschen. Und einige Monate später dann Warschau: Ohnmacht. Politisch zu sein bedeutet heute ein ständiges Wechseln zwischen diesen beiden Polen, ohne dabei zu verzweifeln. Und doch stellt sich die Frage: Wie nicht verzweifeln und gleichzeitig etwas substantiell verändern?
Wie aber kommen wir aus dieser reaktiven Haltung heraus, in der wir oft notgedrungen sind und die Verhältnisse nur beklagen können? Ich finde Euer Projekt besonders interessant, weil ich das Gefühl habe, Ihr geht in die Offensive und setzt eine Agenda und eine Vision. Wie kommt man in eine aktivere, offensivere Position, wo man versammelt und verbindet, aufarbeitet und anklagt, und plötzlich Rechte reagieren müssen?
Erstmal gibt es viele Menschen, die bereit sind, sich dem Thema inhaltlich zu stellen und sich darüber auszutauschen. Netzwerkarbeit ist eine Basis, auf der das geschieht. Das “Tribunal NSU Komplex auflösen” hat zum Beispiel erst in Köln stattgefunden, dann in Mannheim und Chemnitz, und in Nürnberg.
Über Austauschformate kann man besonders gut Wissen und Ressourcen zusammenbringen und muss nicht immer das Rad neu erfinden. Natürlich bleibt immer die Frage, ob es Bereitschaft gibt, eigene Themen zu setzen. Ein wichtiger Aspekt ist es, Wissen und Erfahrungen zu archivieren und für die Zukunft aufzubereiten. Das ist der Ansatz des NSU-Dokumentationszentrums.
Heutzutage wissen junge Menschen, die gerade erwachsen werden, nicht mehr zwingend, was der NSU war. Auch wenn das NSU-Dokumentationszentrum nicht alle Probleme lösen kann, ist unser Ziel erstmal, Fundamente und Grundlagen zu sichern. Das passt oft nicht dazu, wie die Zivilgesellschaft gefördert wird. Ich glaube, das NSU-Dokumentationszentrum kann an bestimmten Punkten wichtige Bedürfnisse stützen, indem es Bündnisse unterstützt und einen Knotenpunkt schafft. Politische Bewegungsdynamiken sind oft irgendwann am Ende, die Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte ist auch fast immer zeitlich begrenzt. Die Forderung nach Aufarbeitung des NSU-Komplex bleibt aber aktuell. Ein Dokumentationszentrum stellt sicher, dass sie auch in Zukunft nicht vergessen werden. Wir müssen also schauen, wie sich unsere Arbeiten und Kämpfe verbinden lassen und dann gilt es Schritt für Schritt und mit viel Ausdauer voranzugehen.
Dass Betroffene und politische Aktive etwas brauchen, das jenseits der symbolpolitischen Ebene wirkt, ist, glaube ich, besonders wichtig. Wenn man das Gefühl hat, da ist jetzt ein physischer Ort, der eine Geschichte nicht mehr ausradierbar macht, dann ist es nicht mehr nur ein Symbol, sondern eine konkrete Form von Sicherheit, die man selbst schafft und die Macht symbolisieren kann. Das NSU-Dokumentationszentrum richtet sich an die verschiedensten Menschen, die betroffen sind, an Migrant:innen, BiPoCs, Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens, Linke und viele andere. Was ist das eigentlich für ein Ort, der weder Website noch Ausstellung ist, von dem Du persönlich träumst?
Wir versuchen das Ganze mit dem Begriff “Assembly” ein Stück weit zusammenzufassen. Der Begriff ruht wiederum auf der Ausstellung, die Hannah Zimmermann und ich zusammen mit Ayşe Güleç und Fritz Laszlo Weber unter dem Titel "Offener Prozess" entwickelt haben.
Das Assembly ist der Ort, wo man zusammenkommt, wo Ressourcen bereitgestellt und geteilt werden und wo man sich organisieren und empowern kann. Wir müssen uns stetig darüber verständigen, was unsere Ziele sein könnten. Wir könnten hier in unserem Umfeld im sächsischen Raum noch mehr partizipative Räume schaffen, um damit Menschen zu beteiligen und zu aktivieren, das umzusetzen, was sie für ein gleichberechtigtes Leben haben wollen. Wir wollen genau die Menschen ansprechen, die sonst übersehen werden. Oft sind es Personen mit Migrationserfahrung, weil sie wenig Mittel und keine große Lobby haben. Genau in dieser Nische muss so ein NSU-Dokumentationszentrum wirken, um unkompliziert zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Denn wir wollen, dass Menschen ihren Erfahrungsschatz in gesellschaftliche Aushandlungsprozesse einbringen können und dafür sorgen, dass alle zusammenkommen können, die sich in der Gesellschaft engagieren wollen. Mit diesem Ansatz könnten wir die Zivilgesellschaft auf eine neue Ebene heben. Es wäre viel gewonnen, wenn wir das an einem Ort umsetzen könnten.
Ich habe immer wieder über den Kölner Prozess des NSU-Mahnmals “Herkesin Meydanı – Platz für Alle” in der Keupstraße nachgedacht. Dort erscheint mir die besondere Leidenschaft und Liebe bei der Beteiligung der Betroffenen und vieler verbündeter Initiativen als zentral. Welche Rolle spielt die Assembly in Eurem Prozess genau? Ihr habt mit Gesprächen mit Einzelakteur:innen angefangen, und da frage ich mich, wie entsteht daraus die Zusammenkunft der verschiedensten Menschen und Gruppen in einem gemeinsamen Raum?
Wir haben dafür schon das Fundament gelegt, wie zum Beispiel den Gründungskreis, der unsere Arbeit wie ein Beirat begleitet, und in dem Akteur:innen aus lokalen Gedenkinitiativen, etwa aus Zwickau und Chemnitz, vertreten sind. Diese Personen sind seit vielen Jahren dabei und haben unserer Arbeit das Feld bereitet. Unser Anspruch ist es, die bestehenden Initiativen zu stärken und gemeinsam etwas zu entwickeln, was uns alle weiterbringt. Wir arbeiten auch mit antifaschistischen Initiativen, wie z.B. NSU Watch oder dem “Tribunal NSU-Komplex auflösen”, zusammen und agieren auf kommunal-, landes- und bundespolitischer Ebene. Und da gilt es immer wieder die gleiche Frage zu stellen: “Was wollt Ihr?” Dafür gehen wir auch auf Tour mit der Idee und wollen uns bundesweit mit Projekten und potenziellen Partner:innen an einen Tisch setzen. Ich glaube, jetzt ist ein guter Zeitraum, um andere Orte zu besuchen, weil wir mit unserer Studie eine Grundlage geschaffen haben, an der man sich ein bisschen reiben kann.
Denn wenn wir ein NSU-Dokumentationszentrum realisieren, sollten wir es auch so nutzen, wie es gebraucht wird, als Ort der Aushandlung. Menschen kommen nicht an Orten zusammen, die sie nicht als hilfreich für ihr Leben empfinden.
About the contributor
Jörg Buschmann
Mitarbeiter des RAA Sachsen e.V. im Projekt zur Konzipierung eines Dokumentationszentrums zum NSU-Komplex
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