Eine Kombo aus Reproduktionen der Ostthüringer Zeitung aus dem Jahr 1998 zeigt Fahndungsbilder von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos
Unser Verein hat sich dabei über die Jahre stark weiterentwickelt. Aktuell sind wir vor allem in Sachsen lokal aktiv in der Beratung für Betroffene rechtsmotivierter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Zur Zeit haben wir Büros in Dresden, Chemnitz, Leipzig und Görlitz und vielleicht auch bald wieder in Plauen. Neben der Beratung gibt es diverse Bildungs- und Gemeinwesensprojekte, vorwiegend in Dresden, Hoyerswerda, Bernsdorf, Bautzen und im ostsächsischen Raum.
In meiner Vergangenheit war ich bei verschiedenen aktivistischen Initiativen aktiv, wie zum Beispiel NSU Watch Sachsen. Wir haben uns nach der Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 damit beschäftigt, den zweiten sächsischen Untersuchungsausschuss anzuschauen und das Wissen, was dort generiert wurde, in die Öffentlichkeit zu tragen, weil dies nur partiell stattgefunden hat. Die Auseinandersetzung mit rechter Gewalt ist auf jeden Fall ein roter Faden in meiner persönlichen, professionellen und politischen Biografie.
Ganz naiv gefragt, wie kann ich eigentlich anderen Menschen erklären, was der Sinn und Zweck dessen ist, rechte Gewalt zu monitoren und zu dokumentieren und damit häufig der Stachel im Fleisch der bürgerlichen Mitte zu sein, die oft nichts von der bösen Welt um sie herum wissen will? Die Mitte-Studie hat das ja erst kürzlich wieder erschreckend zutage gebracht.
Ich glaube, es gibt ein grundsätzliches gesamtgesellschaftliches Wahrnehmungsproblem, was das Phänomen rechte Gewalt angeht. Es gab und gibt immer noch eine große Präsenz rechter Gewalt, die mancherorts nahezu zum Alltag gehört, sodass sie irgendwann kaum noch als Problem wahrgenommen, “toleriert” und nicht selten sogar akzeptiert wird.
Es geht hier nicht nur um Menschen in Sachsen, aber die Region ist besonders betroffen und das zieht sich zurück bis zur Wiedervereinigung. Hoyerswerda ist im Jahr 1991 bekannt geworden durch eines der ersten großen Pogrome nach der Wiedervereinigung. Jegliche Beschäftigung mit diesen Themen hat letzten Endes immer Nestbeschmutzungsreflexe ausgelöst, weil es mit dem Selbstbild Sachsens nicht harmoniert. Jenes Selbstbild, das besagt, dass wir jetzt demokratische Verhältnisse haben und den Weg zu “blühenden Landschaften” beschreiten. Genau diese Widersprüche stoßen auf gesellschaftliche Widerstände, wenn man sie anspricht.
Nach den schweren rechtsextremen Ausschreitungen verließen die Bewohner des attackierten Asylbewerberheimes in der Thomas-Müntzer-Straße Hoyerswerda (Quelle: picture-alliance / ZB, Thomas Lehmann)
Ich verstehe Aufklärungsarbeit als eine wichtige Basiskomponente Eurer Arbeit. Wie würdest Du die Effekte Eurer Arbeit beschreiben? Die Effekte des Sichtbarmachens von Zahlen, von Geschichten, von Daten sowohl auf Menschen als auch auf die Zivilgesellschaft, die Politik und die Verwaltung?
Es gibt ganz unterschiedliche Effekte. Ein konkretes Beispiel sind die langen Diskussionen darüber, wer als Todesopfer rechter Gewalt gezählt wird. Es gibt eine offizielle Statistik der Bundesregierung, die aus den Länderdatenbanken gespeist wird, diese nennt jedoch eine sehr viel niedrigere Zahl als unabhängige Projekte, wie die Amadeu Antonio Stiftung. Genau diese Diskrepanz sichtbar zu machen ist einer unserer Ansprüche, mit dem Zweck, staatliche Akteur:innen an ihre Rechenschaftspflicht zu erinnern.
Denn eines ist klar, hinter jeder Zahl steht ein konkreter Mensch, der von rechter Gewalt betroffen ist oder sogar sein Leben verloren hat. Das sichtbar zu machen ist enorm wichtig, weil das Konzept rechter Gewalt letzten Endes darauf abzielt, genau diese Menschen aus unserer Gesellschaft auszuschließen. Wenn wir die Taten ignorieren und nicht sichtbar machen, würden wir genau diesen Ausschluss implizit weiter verstärken.
Wir stellen in unserer Arbeit nicht nur generelle Sichtbarkeit her, sondern auch die Sichtbarkeit von Betroffenen untereinander. Menschen merken, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind und mehr Personen ihre Erfahrungen teilen. Oft passieren die Taten nämlich in Situationen, in denen sich Betroffene sowieso schon gesellschaftlich als isoliert wahrnehmen. Genau das aufzubrechen ist auch ein Ziel von uns. Ein konkretes Beispiel ist unsere Statistik zu rechter und rassistischer Gewalt in Sachsen, die seit 2009 vergleichbare Zahlen liefert und bis heute über 5.400 Personen dokumentiert hat, die von rechten Angriffen betroffen waren. Natürlich nehmen die Berater:innen gleichzeitig auch Kontakt mit den Betroffenen auf und bieten vielfältige Unterstützung an.
Statistik zu rechter und rassistischer Gewalt in Sachsen 2022 (Quelle: RAA Sachsen e.V.)
Ich denke, die Mischung aus Monitoring und Aufklärung, Beratungs- und Bildungsarbeit ist sehr wichtig und es gibt sie ja nicht besonders häufig. Die Realität, dass es in Eurem Kontext konkret um physische und psychische Gewalt geht, die Menschen existenziell bedroht, bringt mich zu meiner nächsten Frage: Wer sind die Menschen, mit denen Ihr zusammenarbeitet und was für Probleme und Ängste treiben diese Menschen um?
Ich muss für diese Frage nochmal kurz klarstellen, dass ich nicht in der Beratung arbeite und meine Kolleg:innen da mehr Praxiserfahrungen haben. Das Projekt zum NSU-Dokumentationszentrum gibt dazu aber auch Einblicke. Wir versuchen immer, auch in diesem Projekt, die Betroffenenperspektiven stark zu machen und die Angehörigen der NSU-Opfer und die Überlebenden der Anschläge einzubinden. Wir respektieren aber auch, wenn es daran kein Interesse gibt. Wo immer erwünscht, versuchen wir einen Wissensfluss herzustellen, über den Projektstand zu informieren und die Möglichkeiten aufzuzeigen, die wir gerade haben, um sich zu engagieren. Diese Angebote werden gut angenommen, das Interesse an der Idee eines NSU-Dokumentationszentrums ist sehr groß.
Das Hauptziel, von den Bedürfnissen der Betroffenen und Angehörigen ausgehend, wäre, dass das NSU-Dokumentationszentrum nicht zu einer allein symbolischen Beschäftigung wird, sondern konkrete Verbesserungen der Situation der Betroffenen herbeiführt. Etwa wenn es um die langfristige Begleitung bei der Bewältigung traumatischer Folgen geht. Hier wurde der Bedarf nach mehr Fachexpertise benannt.
Ein wiederkehrendes starkes Bedürfnis besteht im Wunsch nach Anerkennung der Fehler, die von staatlichen Stellen begangen wurden. “Wir erkennen es an”, muss heißen, dass der Staat Verantwortung übernimmt, indem er Ressourcen zur Verfügung stellt, sodass die Betroffenen diejenigen sind, die darüber mitbestimmen und mitentscheiden können, wie an die Opfer des NSU erinnert wird und was politisch verändert gehört.
Installation zum Gedenken an die Opfer des NSU (Foto: Helge Gerischer)
Natürlich macht Ihr damit auch Interessenvertretungsarbeit. Immer wieder ist man da doch in der Rolle der Kassandra, deren Warnrufen und Prophezeiungen, dass die Dinge immer schlimmer werden könnten, nicht geglaubt wird. Werden die Ängste im Kontext des NSU-Dokumentationszentrums denn wenigstens ernst genommen?
In Sachsen ist es ein hartes Geschäft, Gehör zu finden. Natürlich nicht immer erfolglos. Es gibt hier eine starke Zivilgesellschaft und natürlich gibt es Politiker:innen, die uns unterstützen. Aber es gibt auch viel Luft nach oben: Auf sächsischer Ebene wurden z.B. die Naziaufmärsche der NPD durch Pegida (Abkürzung für "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") abgelöst, und die Reaktionen darauf hätten besser sein können. Dabei haben die politisch Verantwortlichen das Problem noch vergrößert, indem man mehr Resonanzraum geschaffen hat, was leider ein häufiges und wiederkehrendes Problem ist.
Ich glaube, dass es nicht förderlich ist, sich so auf den politischen Gegner zu fokussieren und diesem inhaltlich nachzueifern. Neuerdings erleben wir dies sogar auf der bundespolitischen Ebene. Im globalen Raum ist es ein wachsendes Problem, bei dem wir in vielen Fällen am Scheideweg stehen. An manchen Orten ist es sogar schon zu spät, wenn ich an Ungarn oder Italien denke. Dort sind Parteien an der Macht, die aus einem rechtsnationalistischen Lager kommen. Die Gefahr existiert auch hier.
Lange Zeit haben Menschen in Deutschland die AfD nicht als großes Problem angesehen und gesagt, “Das gehen wir jetzt erstmal entspannt an.” Heute sitzt die AfD in Sachsen mit 27% im Landtag. Die Dynamik kann sich schnell ausweiten und die Umfrage zur Landtagswahl zeigen das ja auch. Auf Bundesebene wurde lange gesagt, dass es ein ostdeutsches Phänomen sei und nicht ein Problem der Gesamtgesellschaft. “Löst das vor Ort!“
Die Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag zu einem NSU-Dokumentationszentrum bekannt. Ich frage mich im Gespräch mit Jörg, was das einerseits bedeutet, dieses Bekenntnis. Und andererseits, wie viel dieses Bekenntnis wert wäre, wenn es nicht eine Zivilgesellschaft gäbe, die entschlossen ist, ein solches Projekt umzusetzen. Und gleichzeitig überkommt mich etwas die Angst bei der Vorstellung, dass die nächsten Wahlen in Sachsen und womöglich auch bei der Bundestagswahl mit ihren Ergebnissen harte Konsequenzen für die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteur:innen, die sich gegen rechte und rassistische Gewalt einsetzen, haben könnten.